Abiturrede 2021
Liebe Eltern und Verwandte, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler unseres fünfzehnten Abiturjahrgangs an der EGG.
Als Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck begrüße ich euch und sie alle herzlich zur diesjährigen Zeugnisübergabe unserer Abiturienten. Ungewöhnlich natürlich, weil wir diese coronabedingt in vier geteilten Gruppen und in einem ungewohnten Ambiente durchführen. Alle Menschen, die in unserem Theater sitzen haben aber trotzdem einen Grund gemeinsam zu feiern, also: Herzlich willkommen!
Da meine Abiturrede in diesem neuen Setting etwas kürzer als sonst ausfallen muss, werde ich sie fokussieren auf jeweils einen Aspekt der Serie „Game of Thrones“, aber um es mir selbst und einigen Zuhörer*innen, die ebenfalls heute vier Zeugnisübergaben miterleben dürfen, etwas spannender zu machen, wird es jeweils einen eigenen, unterschiedlichen Mittelteil geben. Aber da ja Fotos von euch und auch meine Reden auf der Homepage unter: Ehemalige – Abiturfeiern gespeichert werden, wäre ja für Interessenten alles jederzeit nachlesbar.
Den Schwerpunkt aller vier Teile meiner Darstellung – wen wird es an dieser Schule wundern – bilden die Religionen, die in Game of Thrones verarbeitet sind. Dabei ist allen Leserinnen der Bücher und auch Sehern dieser weltweit erfolgreichsten Serie der 2010er Jahre deutlich, dass es sich hierbei nicht nur um ein Actionspektakel, sondern um eine Welt voller Götter, Priesterinnen und Glaubensfragen handelt, in die es lohnt tiefer einzudringen, denn es gilt hier, wie auch an anderen Stellen: wer mehr weiß, sieht mehr.
Zu sich selbst sagt George R.R. Martin: „Ich schätze, ich bin ein abgefallener Katholik. Sie würden mich für einen Atheisten oder einen Agnostiker halten. Ich finde Religion und Spiritualität faszinierend. Ich würde gerne glauben, dass dies nicht das Ende ist und dass es irgendetwas mehr gibt. Aber ich kann den rationalen Anteil in mir nicht davon überzeugen, dass dies irgendeinen Sinn ergibt“ ( https://ew.com/article/2011/07/12/george-martin-talks-a-dance-with-dragons)
In einem anderen Interview zeigt sich der Autor der Bücher, George R.R. Martin, unzufrieden darüber, wie beispielsweise in dem Klassiker von Tolkien: „Der Herr der Ringe“ Religion vorkommt: „Klar, der Herr der Ringe ist zutiefst geprägt von der christlichen Ideenwelt des Autors. Aber es gibt keine Kirchen und Kulte, Priester und heilige Schriften. Es gibt keine explizite Religion in Mittelerde.“ Aber in allen bekannten Kulturen sind Religionen ein zentraler Bestandteil der sozialen Realität. Doch im Auenland oder in Gondor (oder bei Harry Potter) ist davon nichts zu bemerken.
Alle weiteren Ausführungen beziehen sich bei Zitaten auf das Buch von Thorsten Dietz: Gott in Game of Thrones, 2020.
Anders also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte mich zuerst – ich nenne das einmal so - mit der Staatsreligion befassen, obwohl die Verehrung der Sieben eine „Blackbox“ bleibt, weil „keine halbwegs wichtige Figur dieser Serie eine Art inneres Leuchten aus dieser Religion“ (58) heraus erfährt. Es handelt sich um die Staatsreligion, weil in der Millionenstadt Königsmund die Große Septe, das höchste und eindrücklichste Bauwerk von Königsmund steht. Anders als viele andere Religionen, die in Game of Thrones geschildert werden offenbart sich diese Religion durch eine heilige Schrift. „Für ihre Auslegung gibt es ausgebildete Experten, weibliche und männliche Amtsträger, die Septone und Septas. Dieser Glaube wird sichtbar, in großen Tempeln, Bildern und Statuen, in rituellen Kleidern oder Kerzen. Diese Religion kennt Glaubensgrundsätze, die man anerkennen muss. Und sie bietet moralische Gebote für alle möglichen Lebensfragen.“ (57) Die sieben verschiedenen Vorstellungen des Gottes (Vater, Mutter, Krieger, Schmied, Jungfrau, Altes Weib und das Fremde repräsentieren eine besondere Seite der Gottheit und erinnern an das Christentum. George R.R. Martin erläutert in einem Interview ausdrücklich (https://www.youtube.com/watch?v=S1wiqdd1K4A), dass er „den Glauben an die Sieben aus seinen Erfahrungen mit dem dreieinigen Gott im katholischen Christentum entwickelt hat.“ Gemeint ist hier vermutlich explizit die hierarchische Struktur der Priesterschaft oder das Vorhandensein eines zentralen Heiligtums.
Game of Thrones – Teil 1, oder: „Der siebeneinige Gott“
Anders also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte mich zuerst – ich nenne das einmal so - mit der Staatsreligion befassen, obwohl die Verehrung der Sieben eine „Blackbox“ bleibt, weil „keine halbwegs wichtige Figur dieser Serie eine Art inneres Leuchten aus dieser Religion“ (58) heraus erfährt. Es handelt sich um die Staatsreligion, weil in der Millionenstadt Königsmund die Große Septe, das höchste und eindrücklichste Bauwerk von Königsmund steht. Anders als viele andere Religionen, die in Game of Thrones geschildert werden offenbart sich diese Religion durch eine heilige Schrift. „Für ihre Auslegung gibt es ausgebildete Experten, weibliche und männliche Amtsträger, die Septone und Septas. Dieser Glaube wird sichtbar, in großen Tempeln, Bildern und Statuen, in rituellen Kleidern oder Kerzen. Diese Religion kennt Glaubensgrundsätze, die man anerkennen muss. Und sie bietet moralische Gebote für alle möglichen Lebensfragen.“ (57) Die sieben verschiedenen Vorstellungen des Gottes (Vater, Mutter, Krieger, Schmied, Jungfrau, Altes Weib und das Fremde repräsentieren eine besondere Seite der Gottheit und erinnern an das Christentum. George R.R. Martin erläutert in einem Interview ausdrücklich (https://www.youtube.com/watch?v=S1wiqdd1K4A), dass er „den Glauben an die Sieben aus seinen Erfahrungen mit dem dreieinigen Gott im katholischen Christentum entwickelt hat.“ Gemeint ist hier vermutlich explizit die hierarchische Struktur der Priesterschaft oder das Vorhandensein eines zentralen Heiligtums.
Einerseits ist diese Religion also par excellence ein Beispiel für den engen Zusammenhang von Glaube und Krone, andererseits fehlt in der Lehre der Sieben aber jede Heilsbotschaft – so interpretiert wäre es also eine christliche Religion ohne Jesus Christus.
Die Grenzen dieser Staatsreligion erlebt man in der Serie auf zweierlei Weise. Einmal beispielhaft gekoppelt an den besten Freund von John Schnee, Samwell Tarly, der nach seinem Scheitern an der großen Mauer eigentlich die heiligen Schriften studiert und damit einen traditionellen Weg beschreitet, bevor er sich letztendlich von diesem siebeneinigen Gott seiner Väter lossagt. Diese Götter von Westeros leuchten ihm nicht mehr ein. Seine eigenen Lebenserfahrungen stimmen mit den überkommenen Gottesvorstellungen nicht mehr überein. Darum verliert er seinen Glauben und trennt sich von der bisherigen religiösen Praxis. Eine Parallelität mit unserer westlichen Gesellschaft ist darin zu sehen, dass ein „Resonanzverlust der klassischen Hochreligionen offensichtlich ist“. So sind allein 2019 mehr Menschen in Deutschland allein aus der evangelischen Kirche ausgetreten als Gelsenkirchen Einwohner hat.
Ganz akribisch nimmt sich George R.R. Martin die Sexualmoral der Großen Septe vor. Wird auf der einen Seite sehr positiv beschrieben, wie die Erneuerung der Großen Septe mit ihrer Erweckungsbewegung, den Spatzen, selbst arm bleibt um den Armen besser dienen zu können, so fallen auch entscheidende Figuren aus dem Königshaus über die rigide Sexualmoral dieser Erneuerungsbewegung. Die von den wenigsten in der Serie geliebte Cersei bringt so ihre Schwiegertochter, die ihr zu mächtig geworden ist zu Fall (indem sie die Homosexalität ihres Bruders verrät), bevor sie selbst wegen der Liebe zu ihrem eigenen Bruder ins Gefängnis muss.
Deutlich wird in diesen beiden Erzählsträngen die Erfahrung gemacht, die mit religiösem Fanatismus einhergeht. Auch hierfür finden sich vielfältige, aus der Kirchengeschichte ableitbare, Vorbilder. Ganz grundsätzlich – und dies ist insbesondere ein Anliegen unseres eigenen Religionsprojektes in der Jahrgangsstufe 11 – wird es problematisch, wenn der mit einer Botschaft „verbundene Wahrheitsanspruch, dass es nur diesen einen Gott gibt, so zentral wird, dass das Erbarmen Gottes und das Gebot der Nächstenliebe völlig hinter einem Wahrheitsanspruch zurücktreten. Dann gibt es keinen Raum mehr für Toleranz. Dann schwindet auch das Bewusstsein für die Vielfältigkeit der biblischen Botschaft,“ (87) ja der religiösen Botschaft überhaupt.
Man sieht auch hier wieder: Immer geht es auch um lebenslanges Lernen – bei euch in oder ich hoffe vor allem noch nach eurer Schulzeit. Religiöse Fanatiker tun etwas, weil sie von ihrer Wahrheit so überzeugt sind, oder besser: weil sie von ihrer Wahrheit überzeugt sein wollen. „Das ist ein großer Unterschied. Gelassene Gewissheit zeichnet sich dadurch aus, nicht über jeden Zweifel erhaben sein zu wollen. (90) Sie ist auch in der Lage das religiöse Anderssein nicht nur zu tolerieren, sondern gegründet auf den eigenen religiösen Wurzeln auch die Stärken dieser Andersartigkeit zu respektieren du sich als gleichberechtigte Mitglieder in einer politischen Gemeinschaft zu begegnen.
Game of Thrones – Teil 2, oder: „Der Zweifel am Glauben“
Anders also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte mich als zweites mit dem Zweifel am Glauben beschäftigen, denn „viele Sympathieträger der Serie (John Schnee, Tyrion Lennister, Daenerys Targaryen oder Arya Stark) sind nicht gläubig in irgendeinen traditionellen Sinn. Und doch ringen sie mit religiösen Fragen.“ (126) Der Frage: „Was rettet uns, wenn der Winter naht?“ werde ich mich zwar erst im dritten und vierten Teil meiner Abiturrede annähern, aber gilt das Motto: „Der Winter naht“ auch Game of Thrones auch für die Welt des Glaubens?
„Tyrion Lennister sagt einmal über Varys: Mein Freund hat eine gesunde Skepsis gegenüber der Religion. Diese Aussage könnte man über die meisten Helden der Geschichte treffen.“ (111) Begründet wird dies in der Serie mit der Unmenschlichkeit der Eiferer eines bestimmten Glaubens, die diesen endgültig selbst diskreditieren. Wie bei der ersten Gruppe dargestellt hat die Spatzenbewegung Königsmund an den Rand des Bürgerkriegs geführt und „die Anhänger des Herrn des Lichts lassen keinen Zweifel daran, dass in ihren Augen alle, die ihren Gott nicht annehmen, den Tod verdient haben.“ (115)
„Der moderne Atheismus entsteht wesentlich aus der Kritik am moralischen Versagen der Religionen. Game of Thrones zeichnet hier ein sehr realistisches Bild.“ (116)
Aber entgegenzuhalten ist, dass man doch das Versagen des Bodenpersonals nicht immer Gott anlasten kann. Menschen scheitern, immer und überall. „Aber es ist doch kein Grund, den Glauben an Gott aufzugeben. Denn so schlimm die Verbrechen von Gläubigen sein mögen; so oder so machen diese Dinge deutlich, wie sehr Menschen erlösungsbedürftig sind.“ (116) Und damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden werde – wenn es solche Taten gibt, dann müssen sie geahndet werden. Mit christlicher Brille kann man sogar sagen: Man braucht den Glauben an Gott, um moralisch handeln zu können – alle grundsätzliche Ausführungen dazu sind hinterlegt.
Und gerade die an Religion Zweifelnden, die auch die zentralen Helden in der Serie sind, befinden sich in einer spirituellen Suchbewegung – wie Arya Stark mit der ich mich in der dritten Runde auseinandersetzen werde – oder verkörpern beinahe klassische, biblische Motive. „Daenerys Targaryen wird als Sprengerin der Ketten bezeichnet, als Befreierin der Sklaven und Hoffnung der Unterdrückten. Daenerys ist eine klassische Mosesfigur, inklusive der damit verbundenen Versuchlichkeit.“(127) und die in ihrer Rache wie ein Pharao endet. John Schnee – mit dem ich mich zum heutigen Abschluss hin bei der vierten Gruppe beschäftigen werde – „erlebt im Verlauf der Handlung Tod und Auferstehung auf eine Weise, die schon fast ein wenig zu plump an das Vorbild Jesus angelehnt ist.“ (127)
Man sieht auch hier wieder: Immer wieder geht um den Blick hinter die oberflächlich, kämpfende Figur und eher um ihre Beweggründe, Zielsetzungen, aber auch um das jeweilige Schicksal, weshalb letztendlich Bran und nicht John, Daenerys oder Arya den Thron besteigen wird. Übrigens eine Figur, die ganz und gar der alten nordischen Glaubenswelt verhaftet ist.
Wichtig für George R.R. Martin bleibt aber aus meiner Sicht: Religiöse Fanatiker tun etwas, weil sie von ihrer Wahrheit so überzeugt sind, oder besser: weil sie von ihrer Wahrheit überzeugt sein wollen. „Das ist ein großer Unterschied. Gelassene Gewissheit zeichnet sich dadurch aus, nicht über jeden Zweifel erhaben sein zu wollen. (90) Sie ist auch in der Lage das religiöse Anderssein nicht nur zu tolerieren, sondern gegründet auf den eigenen religiösen Wurzeln auch die Stärken dieser Andersartigkeit zu respektieren du sich als gleichberechtigte Mitglieder in einer politischen Gemeinschaft zu begegnen.
Game of Thrones – Teil 3, oder: „Die Rolle der Arya Stark“
Anders also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte mich als drittes mit der Rolle einer Hauptfigur: Arya Stark, befassen.
Valar Morghulis – Alle Menschen müssen sterben! ist einer der immer wiederkehrenden Schlüsselsätze der Serie und ohne Zweifel spielt eine Hauptrolle der Tod, denn Tod und Sterben sind in der gesamten achtteiligen Serie allgegenwärtig. Und eine Protagonisten, mit einer sehr facettenreichen Entwicklung, ist Arya Stark, zu Beginn noch ein junges Mädchen und zum Ende hin eine junge Frau, die es sein wird, den Nachtkönig zu töten und damit die lange Nacht zu beenden. „Am Ende tötet sie den Tod – und rettet damit die Menschheit.“ (140) … aber nicht zu schnell!
Als junges Mädchen in der ersten Staffel führt sie folgendes Gespräch:
Syrio: Betest du zu den Göttern
Arya: Den alten und den neuen.
Syrio: Es gibt nur einen Gott. Und sein Name ist Tod. Und es gibt nur eines, was wir dem Tod sagen. Nicht heute.
Von diesem Punkt ausgehend erlebt man Arya, wie sie sich auf unterschiedliche Art und Weise zu verteidigen lernt, Überlebenslektionen lernt um schließlich zu einer einsamen Rächerin zu werden, die diejenigen verfolgt und tötet, die ihr und ihrer Familie Unrecht getan haben. Anders als andere Menschen, die vor dem Schlafengehen an diejenigen denken, die sie lieben, gehört es für Arya zum Ritual und zum Nachtgebet die Menschen aufzuzählen, die auf ihrer Todesliste stehen.
Im Rahmen der Rückreise zu ihrer Familie lernt sie den Tod in vielerlei Facetten kennen. So trifft sie beispielsweise im Tempel des vielgesichtigen Gottes auf die sogenannten gesichtslosen Männer. Diese kümmern sich einerseits um die Verstorbenen und Trauernden, führen also ein klassisches Werk der Barmherzigkeit durch. Andererseits handelt es sich auch um einen Ort für professionelle Sterbehilfe, da hier Verzweifelte und Sterbenskranke einen schmerzlosen Tod finden. Aber: Diese Gesichtslosen nehmen auch Tötungsaufträge an – eine verstörende Kombination.
Hier wird Arya – im Prinzip einer buddhistischen Grundidee folgend – ein Niemand. Persönlichkeit ist nach dieser Philosophie oder Religion „eine Illusion. Ein Anhaften am äußeren Schein. Wer ein Niemand ist, ist frei. Wer sich selbst überwunden hat, dem bleibt kein Grund zur Furcht.“ (136) Arya wird also ausgebildet und wir ein Niemand. Als sie aber ihren ersten Auftragsmord ausführen soll, siegt ihr Gewissen und sie kann den Mord nicht ausführen und kommt zu der Erkenntnis ihres eigenen Ichs, wenn sie (auch am Ende ihrer Pubertät angekommen) sagen kann: „Ein Mädchen ist Arya Stark von Winterfell. Und ich gehe jetzt nach Hause. Arya weiß, wer sie ist und wo sie hingehört. Beides hat sie so gründlich gelernt, wie man es nur kann.“ (139)
Aryas Weg ist die Geschichte einer Selbstwerdung. „Allem Anpassungsdruck zum Trotz findet sie ihren eigenen Weg. Aber sie lernt auch: Du bist niemand ohne die Beziehungen, die dich tragen.“ (142) Philosophiegeschichtlich spielt George R.R. Martin hier mit einer existenzialistischen Lebenseinstellung nach dem Motto: „Sei du selbst! Lass dich in keine Schablone pressen. Habe den Mut, ein Einzelner zu werden. Nur wer sich der Angst vor dem Leben stellt, wird wirklich frei.“ (141) Aber es gilt auch – bezogen auf die Gesamtgeschichte: Im nahenden Winter von Game of Thrones „überlebt nur das Rudel, nicht der einsame Wolf. Arya musste ein einsamer Wolf werden, um zu überleben. Aber sie hat auch deshalb überlebt, weil sie nie die Hoffnung aufgegeben hat, das Rudel wiederzufinden. Es gibt kein Leben ohne das Netz der Verbundenheit.“ (142 f.)
Schließen möchte ich aber mit folgender Bemerkung: Bezogen auf das Thema Tod ist die Storyline von Game of Thrones besonders herausfordend, denn als Tyrion in seiner eigenen Zelle bald mit seiner Hinrichtung rechnen muss kommt es zwischen ihm und Jon Schnee (der bereits einmal von den Toten erweckt worden war, aber mehr dazu in meinem vierten Teil, zu folgendem Dialog:
Tyrion: Was mir gerade auffällt. Ich spreche mit dem einzigen Lebenden, der weiß, wohin ich gehe. Und gibt es ein Leben nach dem Tod?
Jon: Ich habe keines gesehen.
Eine Herausforderung, weil christliches Denken diametral anders ist: „Im Glauben an Jesus Christus beginnt das Leben, Leben in Fülle, Leben in Gemeinschaft … Christen lieben das Leben. Darum können sie das Sterben akzeptieren, aber niemals den Tod an sich. Er ist der letzte Feind (1. Kor. 15,26). Sie glauben an ein Leben nach dem Tod, weil sie an das Leben in Fülle vor dem Tod glauben.“ (146)
Und das erscheint mir heute auch im Hier und Jetzt unserer Abiturfeierlichkeiten ein gutes Ende der Gedanken zu Game of Thrones zu sein: Die Herausforderung ist als: ein Leben zu finden, das in alle Ewigkeit gelebt zu werden lohnt.
Game of Thrones – Teil 4, oder: „Die Rolle des Jon Schnee“
Anders also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte mich als viertes mit der Rolle einer weiteren Hauptfigur, Jon Schnee, befassen.
„Jon Schnee ist der Mensch für andere. Während seiner Ausbildung setzt er sich für den völlig überforderten Samwell ein und schützt ihn vor Misshandlung und Verachtung.“ (194) Auch die ewige Feindschaft zwischen der Nachtwache, der beide angehören, und den Wildlingen ist ein tragisches Missverständis. Jons Einsatz für diese trägt ihm tödliche Feindschaft ein. Er wird von seinen eigenen Leuten hinterrücks getötet um anschließend von der Priesterin Melisandre, die an einen Herrn des Lichts glaubt, wieder von den Toten erweckt zu werden. Kurz gesagt kann man erst einmal festhalten:
„Geboren zum höchsten König, aber verkannt und verfolgt setzt er sich unermüdlich für die Schwachen und die Ausgegrenzten ein; er stirbt für die Seinen und wird auferweckt um im Kampf für die Menschheit den Tod zu besiegen. In den Augen der roten Priesterin Melisandre ist Jon Schnee >der Prinz, der uns versprochen war<. Messianischer geht es nicht.“ (196f.)
Wo Daenerys eine mosesähnliche Figur ist, „deren Selbstvertrauen keinen Anflug von Zweifel mehr kennt, ist Jon ein Messias voller Zweifel. Viele vertrauen auf ihn. Er glaubt weder an einen Gott noch an sich selbst.“ (197)
Letztendlich begegnet uns in ihm eine Person in der Tradition der Gattung einer Heldenreise, die aber einen gebrochenen Helden hinterlässt. Er tötet Daenerys, die mit ihrer Gewaltorhie zur Tyrannin geworden ist, während sie sich küssen, wird selbst am Ende der Geschichte aber nicht König, sondern endet wieder da wo sein Weg begonnen hat, bei der Nachtwache an der großen Mauer. Natürlich wäre er dort für den weiteren Verlauf der Geschichte wichtig, wenn man – wie George R.R. Martin dies tut – die große Mauer als Symbol dafür nimmt den nahenden Winter – in den Augen des Verfassers ist damit der Klimawandel in unserer Welt gemeint – zu bekämpfen. Aber hier endet zumindest die filmische Fortführung der Buchserie.
Zum Ende der Serie hin ist die Geschichte von Jon Schnee eng mit der von Daenerys Targaryen, der Herrin der Drachen, verknüpft und zwar bis in ihren Tod hinein. Ihr einzig verbliebener Drache, Drogon, tötet aber nicht ihren Mörder, sondern vernichtet den eisernen Thron, der sie zur Massenmörderin hat werden lassen. „Der Drache wiederholt letztlich das, was Jon getan hat. Jon opfert seine Liebe zu Daenerys um das Leben der Menschen willen. Und der Drache opfert seine Mutter. Denn er verzichtet auf Rache an ihrem Mörder. Mehr noch: Er vernichtet symbolisch das, wonach Daenerys ihr Leben lang gestrebt hat.“ (209)
In der Person des Jon Schnee gelingt es George R.R. Martin letztendlich eine christusähnliche Figur zu erschaffen, die er aber immer wieder scheitern lässt, sodass seine eigene skeptische Haltung zum Christentum hier ihren expliziten Ausdruck verliehen bekommt.
Am Ende der Serie beginnen die gebrochenen Helden übrigens jeweils einen neuen Aufbruch: Sie suchen nach dem Drachen Drogon, wie Bran, segeln mit einem Schiff in Richtung Westen und damit neuen Welten wie Arya oder brechen wie Jon Schnee mit den Männern der Nachtwache und den Wildlingen gen Norden, da die Mauer nicht mehr vor dem nahenden Winter schützt.
Und was ist das für eine gelungene Überleitung zu euch Anwesenden selbst, wo ihr doch heute eure eigene, außerschulische Reise beginnen werdet und euch ebenso auf eure eigene Heldenreise begeben werdet.
Meine sehr verehrten Gäste: Mir sitzen heute insgesamt 94 Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber, allein 18 davon mit einem Einserschnitt, was ein ziemlich guter Wert ist; alle zusammen haben insgesamt einen Abiturdurchschnitt von 2,47 erreicht, was immerhin der zweitbeste Gesamtdurchschnitt ist, den wir an der EGG bislang hatten. Und dies ist umso überraschender, als dass wir auch einige Misserfolge in den vierten Abiturfachprüfungen zu verzeichnen hatten sowie zahlreiche weitere Prüfungen nach den Klausuren erfolgen mussten. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir an der EGG auch in diesem Jahr (wie bislang immer!) besser sind als der errechnete Landesdurchschnitt aller Gesamtschulen in NRW.
Und dabei ist nur eine Minderheit von euch nach der Grundschule mit einer reinen gymnasialen Empfehlung an der EGG oder anderen Schulen gestartet, denn insgesamt erhalten heute 6 Schülerinnen und Schüler das Abitur die ursprünglich nach dem 4. Schuljahr lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten (darunter eine Schülerin mit dem Notendurchschnitt von 2,1) und 57 unserer heutigen Abiturient*innen gingen mit einer Realschulempfehlung (einige wenige mit eingeschränkter gymnasialer Empfehlung) von der Grundschule ab (darunter zwei Schülerinnen mit dem Notendurchschnitt von 1,0). Insgesamt haben also in diesem Jahrgang 64,29% aller Schülerinnen und Schüler ihr Abitur abgelegt, die normalerweise keinen Zugang an einem Gymnasium gefunden hätten – eine eindrucksvolle Ziffer! Daneben haben wir mit 35% den bislang zweithöchsten Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu verzeichnen.
Wir entlassen euch ins nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die Anrede macht das bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habe ich vorhin gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als euer Schulleiter zu euch zu reden.
Wenige Minuten noch, und alle Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren Menschen werden ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie „ehemalig“ oder „früher“. Meine ehemalige Schule. Mein früherer Schulleiter, Oberstufenleiter, meine frühere Beratungs- oder Biologielehrerin.
Ich wünsche euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen. Ihr habt diese Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen Dank!
Sie, liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich gewesen sein. Wer sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat eine andere Geschichte mit unserer Schule als derjenige, der die EGG erst in der Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten selten Grund, an Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute mehr denn je überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht war. Wir bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen.
Vielleicht wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein bleiben – das wäre eine schöne und erfreuliche Geste. Vielleicht möchten Sie (oder ihre Kinder) auch zukünftig zu besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste); deswegen liegt heute eine Liste aus, in der sie sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und zukünftig gezielt durch mich, aber maximal dreimal im Jahr per Mail eingeladen werden. Bislang habe ich hierfür knapp 250 Alumniadressen gesammelt.
Bedanken möchte ich mich im aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet haben. Für deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und Anteilnahme. Dafür, dass sie in euch mehr gesehen haben als Schülermaterial, mit dem zu arbeiten war. Dass sie euch als Individuen wahrgenommen haben und zu fördern suchten und sich bemüht haben, euch gerecht zu werden und dabei authentisch geblieben sind.
Wo wir euch Schülerinnen und Schülern etwas schuldig geblieben sind oder uns aus eurer Sicht schuldig gemacht haben, hoffen wir auf Nachsicht und Verzeihen, wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder andere Mensch auch.
Ihnen, liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und Bildung Ihrer Kinder. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war, euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.
Ihr alle, die Ihr gleich eure Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure jeweilige Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen. Niemand lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt, sind immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die Klassengemeinschaft, in der sich konkurrierend aber hoffentlich ohne Konkurrenzdruck, im leistungsfördernden Wettbewerb aber normalerweise ohne bissige Rivalität etwas entwickeln kann.
Aus diesem Grund möchte ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle hier Sitzenden folgende drei Schülerinnen mit dem besten Abiturschnitt nach vorne bitten:
Lena Abbas (1,0)
Marie Dallmann (1,0)
Hanna Gröteke (1,0)
Ich gebe euch stellvertretend für euch alle ein kleines Buchpräsent mit auf den Weg, in das ich – obwohl die Zeugnisse erst gleich verteilt werden – folgende Zeilen hineingeschrieben habe:
„Herzlichen Glückwunsch zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2021. Ich wünsche dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg – Dein Schulleiter, Volker Franken“
Das Buch: „Eine kleine Geschichte des Abiturs“ soll euch an den heutigen Tag der Ausgabe der Abiturzeugnisse erinnern.
Und selbstverständlich hätte ich auch aus diesem Buch einen Ansatzpunkt für eine Abiturrede finden können, denn Karl Marx ist vor nunmehr 200 Jahren geboren worden und von seiner Abiturprüfung handelt das erste Kapitel dieses Buches. Er musste damals noch sieben schriftliche Arbeiten abliefern und sieben mündliche Prüfungen absolvieren, zu denen auch drei Übersetzungen vom Deutschen ins Lateinische bzw. Französische gehörten als auch die Übersetzung eines griechischen Textes ins Deutsche. Im Fach Geschichte behandelte der junge Karl Marx die Frage, ob die Regierungszeit des Kaisers Augustus mit Recht zu den glücklicheren Epochen des Römischen Reiches gezählt werden könne. Übrigens fielen von den 32 ausnahmslos männlichen Abiturienten im Jahrgang von Marx zehn durch die Prüfung, eine Quote wie wir sie an der EGG hoffentlich niemals erleben werden.
Auch ihr seid jetzt ein Teil der „Geschichte des Abiturs“ und das wollen wir mit gutem Grund heute feiern.
In diesem Sinne verabschiedet sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Genießt diesen Tag und bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden!
Herzlichen Dank!
Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten,
eine Rede zu eurer Verabschiedung – das haben wir uns vorgenommen – wird nicht Corona zum Thema haben, nein, es soll um euch gehen!
Denn ihr steht heute ganz besonders im Mittelpunkt des Geschehens.
Als der Schulleiter vor ein paar Tagen nach statistischen Daten für seine Rede gefragt hat, kam uns der Gedanke:
Statistik? Das können doch wir! Herr Kuhn als Mathelehrer wird hier gar nicht darum herum kommen ein paar Daten zu präsentieren, denn in 13 Schuljahren, manche haben sogar 14 gebraucht, kommt eine Menge zusammen:
2491 Schultage (13 Jahre),
12455 Schulstunden (ca. 5 pro Tag),
1375 Mittagspausen (9 Jahre),
52 Arbeiten/Klausuren in Mathe, 52 Deutsch, 42 Englisch (13 Jahre),
684 Wochenpläne (3 pro Woche, 6 Jahre SI),
988 Sportstunden (13 Jahre)
10350x Spind öffnen und schließen (9 Jahre),
Interessant, was ein Schülerleben prägt und was alles passiert!
Das allerdings wird nun vorbei sein!
Manche von euch werden in eine Ausbildung münden und auch weiterhin die Schulbank drücken (sie können einfach nicht genug bekommen!), manche werden studieren und sich in Seminaren und Vorlesungen wiederfinden, die wenig mit Schule zu tun haben. Manche wissen noch nicht, wie es weitergehen soll, vielleicht kann ja doch ein Jahr im Ausland folgen oder der Bundesfreiwilligendienst oder ein freiwilliges soziales Jahr?
Aber mit der Schule, wie ihr sie kennt, wird das nichts mehr zu tun haben.
Es fängt ein ganz neuer Lebensabschnitt an.
13 Jahre, das ist der bisher längste Abschnitt in eurem 18, 19 oder 20jährigen Leben.
Dieser Abschnitt der Schulzeit hat euch geprägt, ihr seid erwachsen geworden!
Ihr habt Verantwortung für euer Handeln gelernt und mit dem Absolvieren des Abiturs gezeigt, dass ihr auf ein Ziel zugehen, es erreichen könnt und bereit seid, dafür eine ganze Menge Energie aufzuwenden, euch einzuschränken, euch zu fokussieren.
Nehmt diese Erfahrung mit in euer neues Leben, das ist auf jeden Fall etwas, das euch keiner mehr nehmen kann, die Erfahrung, dass ihr etwas schaffen könnt, eine große Aufgabe erfolgreich abschließen könnt, dass ihr eine schwierige Situation meistern könnt!
Geht erhobenen Hauptes, mit Selbstbewusstsein und Stolz aus dieser Schule des Lebens.
…und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand…