Abiturrede 2015 - Wilhelm Busch

Abiturrede 2015



Aufgeregt? Angst vor dem roten Teppich? Ihr braucht nicht zu antworten, denn


Manche Wahrheiten sollen nicht,

manche brauchen nicht,

manche müssen gesagt werden“


Liebe Eltern und Großeltern, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler unseres neunten Abiturjahrgangs an der EGG.

Als Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck begrüße ich sie alle herzlich zur diesjährigen festlichen Abschlussfeier unserer Abiturienten. Alle Menschen, die in unserem vollbesetzten Theater sitzen haben einen Grund gemeinsam zu feiern, also: Herzlich willkommen!

Der eingangs genannte Ratschlag zum Thema „Wahrheiten“ stammt von keinem geringerem als dem Vater von Max und Moritz, Wilhelm Busch . Wikipedia hält hierzu in einer insgesamt 35-seitigen Ausführung fest, „einem der einflussreichsten humoristischen Dichter und Zeichner Deutschlands“, der übrigens von 1832 bis 1908 lebte und der mit vollem Namen Heinrich Christian Wilhelm Busch heißt.


Als ich nach dem berühmten roten Faden für die heutige Rede suchte, kam mir die Idee mich mit einem Autoren zu beschäftigen, von dem ich einige Werke seit der frühestens Kindheit kannte. In Vorbereitung auf diesen Abend habe ich auch die Gelegenheit ergriffen mir sein Gesamtwerk zuzulegen. Bei der Beschäftigung mit seiner Biographe ist mir dann klar geworden, dass es sich bei ihm – zumindest bis er deutlich über 30 Jahre alt war – um so etwas wie eine „verkrachte Existenz“ handelte, da er sich sehr früh komplett von seinen Eltern entfremdete, immer Geldprobleme hatte, ein eigenbrötlerisches Junggesellentum pflegte und sowohl sein Maschinenbaustudium als auch sein Kunststudium nicht abschloss und schließlich 1858 (immerhin mit bereits 26 Jahren) erwog nach Brasilien auszuwandern um dort Bienen zu züchten. Gut, dass er das nicht getan hat, denn viele seiner Zweizeiler wie:



Dieses ward der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich“


oder eher für die erwachsenen Leser gedacht:


Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“


sind zu festen Redewendungen geworden und manche Kritiker sehen in ihm den Großvater der Comics.


Es handelt sich bei Wilhelm Busch um einen Autoren, der nicht zwingend durch den für das Abitur vorgeschriebenen Literaturkanon zu euch gekommen ist, sondern – wenn überhaupt – dann wahrscheinlich durch eure Eltern. Ein Autor, den Albert Einstein als den „größten Meister stilistischer Treffsicherheit“ bezeichnet hat. Ein Autor, dessen humoristische Weisheiten Volksweisheiten geworden sind, ein Autor der empfiehlt


Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß“.


Ich weiß wohl um die Erwartungen, die man als Schüler, Eltern und Kollege an eine Abschlussrede hat. Ob ich allen Erwartungen gerecht werden kann, weiß ich allerdings nicht. Auf jeden Fall sollen hier nur die Wahrheiten gesagt werden, die wir brauchen und die gesagt werden müssen. Und da das Leben zwar vorwärts gelebt, aber nur rückwärts verstanden wird, wollen wir gemeinsam mit Wilhelm Busch vor dem Weitergehen einen Moment innehalten, das Zurückliegende bedenken,

den Augenblick genießen und das Kommende ins Auge fassen. Wie sagte Wilhelm Busch in seinen Bilderbuchgeschichten vom Maler Klecksel?


Doch ach! Wie bald wird uns verhunzt

die schöne Zeit naiver Kunst;

wie schnell vom elterlichen Stuhle

setzt man uns auf die Bank der Schule“


So werdet ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, im August 2002 sicherlich nicht gedacht haben, als ihr an der Hand eurer Eltern mit prall gefüllten Schultüten, großen Kinderaugen und voller Erwartungen das erste Mal euren Schulweg gegangen seid. Noch wusstet ihr nichts von den Aufregungen, die so ein Schulalltag mit sich bringen würde. Ihr lerntet lesen, schreiben und rechnen. Dann kam und ging für euch die Sekundarschulzeit und neben allen Erfolgen, die ihr erzielen konntet, musstet ihr die Erfahrung machen, die auch Busch formuliert:


Mein Kind, es sind allhier die Dinge,

gleichviel, ob große, ob geringe,

im Wesentlichen so verpackt,

dass man sie nicht wie Nüsse knackt.“


Nun, ihr habt die meisten Nüsse doch geknackt und jetzt sitzen mir hier insgesamt 81 Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber, allein 10 davon mit einem Einserschnitt, die den auf der EGG bislang besten Abiturdurchschnitt von 2,43 erreicht haben. Dieser Gesamtdurchschnitt aller Abiturienten an der EGG ist übrigens besser als der errechnete Landesdurchschnitt bei den Gymnasien im Vergleich der letzten 6 Jahre. Und dabei ist nur eine Minderheit von euch nach der Grundschule mit einer gymnasialen Empfehlung gestartet, denn insgesamt erhalten heute 5 Schülerinnen und Schüler das Abitur die ursprünglich lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten und 53 unserer heutigen Abiturienten gingen mit einer Realschulempfehlung von der Grundschule ab. Ihr seid also auf dem eingeschlagenen Weg geblieben und habt das Ziel erreicht, einige mit viel Fleiß, einige mit etwas Glück, einige auch auf Umwegen. Aber schon Wilhelm Busch wusste:


Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später“.


Euren Lohn erhaltet ihr gleich im Anschluss in Form von Zeugnissen. Sie geben Auskunft über eure schulische Leistungsfähigkeit. Ob sie tatsächlich als Belohnung für Fleiß und Ausdauer von euch gesehen werden konnten? An dieser Stelle halte ich mein eingangs gegebenes Versprechen: Manche Wahrheiten brauchen nicht gesagt werden, tue aber so als wenn so mancher bei den Abiturprüfungen unbekannterweise bereits an Wilhelm Busch gedacht hat, wenn dieser formuliert:


Gedanken sind stets parat, man schreibt auch, wenn man keine hat.“


Rasant ist aber die Zeit mit euch an der EGG vorübergegangen – einige konnte ich bereits in der damaligen Klasse 8 (als kurzfristig eingesprungener Ersatz für den erkrankten Klassenlehrer), andere in der Jahrgangsstufe 9 und dann natürlich wieder in der Oberstufe kennenlernen. Wilhelm Busch würde dazu sagen:


Eins-zwei-drei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit.“





Wir entlassen euch ins nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die Anrede macht das bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habe ich vorhin gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als euer Schulleiter zu euch zu reden.

Wenige Minuten noch, und alle Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren Menschen werden ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie „ehemalig“ oder „früher“. Meine ehemalige Schule. Mein früherer Schulleiter, Oberstufenleiter, meine frühere Beratungs- oder Biologielehrerin.

Ich wünsche euch – auch in Anlehnung an den Gottesdienst – dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen. Ihr habt diese Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen Dank!

Sie, liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich gewesen sein.

Wer sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat eine andere Geschichte mit unsere Schule als derjenige, der die EGG erst in der Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten selten Grund, an Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute mehr denn je überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht war. Wir bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen, obwohl Busch über die großen Entscheidungen im Leben zu sagen wusste:


Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders als man glaubt.“


Vielleicht wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein bleiben – das wäre eine schöne Geste. Vielleicht möchten Sie auch zukünftig zu besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste); deswegen geht während der Feierlichkeiten eine Liste herum, in der sie sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und zukünftig gezielt eingeladen werden.




Bedanken möchte ich mich im aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet haben. Für deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und Anteilnahme. Dafür, dass sie in euch mehr gesehen haben als Schülermaterial, mit dem zu arbeiten war. Dass sie euch als Individuen wahrgenommen haben und zu fördern suchten und sich bemüht haben, euch gerecht zu werden.

Wo wir euch etwas schuldig geblieben sind oder uns schuldig gemacht haben, hoffen wir auf Nachsicht und Verzeihen, wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder andere Mensch auch. Wilhelm Busch, der in seinem Leben auch dunkle Stunden erlitten, so manche Fehlentscheidung getroffen und überzogene Satire, ja auch Verleumdungen gegenüber Andersgläubige verfasst hat – seien es während des Kulturkampfes die Katholiken oder in der Phase des Antisemitismus im Kaiserreich, die Juden –würde dazu wohl sagen:


Das Gute – dieser Satz steht fest –

Ist stets das Böse, was man lässt!“


Ihnen, liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und Bildung Ihrer Sprösslinge, denn:


Nicht allein das ABC

bringt den Menschen in die Höh`,

nicht allein im Schreiben, Lesen

übt sich ein vernünftig Wesen;/

nicht allein in Rechnungssachen/

soll der Mensch sich Mühe machen,

sondern auch der Weisheit Lehren,

muss man mit Vergnügen hören.“,


rät Wilhelm Busch im 4.Streich von Max und Moritz. Ob ihr, liebe Abiturienten und Abiturientinnen, die Weisheiten eurer Lehrer tatsächlich mit Vergnügen hörtet, mögt ihr selbst entscheiden. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war, euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.




Ihr alle, die Ihr gleich eure Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure jeweilige Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen. Niemand lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt, sind immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die Klassengemeinschaft, in der sich konkurrierend aber ohne Konkurrenzdruck, im leistungsfördernden Wettbewerb aber ohne bissige Rivalität etwas entwickeln kann.

Aus diesem Grund möchte ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle hier Sitzenden einen Schüler nach vorne bitten: Bayram Coskun

Ich gebe dir stellvertretend für euch alle ein kleines Buchpräsent mit auf den Weg, in das ich – obwohl die Zeugnisse erst gleich verteilt werden – folgende Zeilen hineingeschrieben habe:

Herzlichen Glückwunsch zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2015. Ich wünsche dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg – VF“ (Note: 1,3)

Das Buch – beinahe eine Gesamtausgabe der Werke von Wilhelm Busch – in Text, aber vor allem auch Bild soll dich an den heutigen Tag der Ausgabe der Abiturzeugnisse erinnern.

Auch ihr seid jetzt ein Teil der „Geschichte des Abiturs“ und das wollen wir mit gutem Grund heute feiern. Und mit eurem jetzigen Know-how über Wilhelm Busch hätten sicherlich nicht nur die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Deutsch gewusst und herausgehört, dass der größte Teil der Bildergeschichten von Wilhelm Busch in vierhebigen Trochäen gedichtet ist, so dass die Übergewichtung der betonten Silben die Komik der Verse verstärkt, was sich in etwa so anhört:


Max und Moritz, diese beiden

Mochten ihn darum nicht leiden.“


Gerade diejenigen aber unter euch die vor sich und anderen zu erkennen geben dieses oder anderes nicht gewusst oder gekonnt zu haben, haben an der EGG und für ihr Leben viel gelernt. Kritische Selbstreflektion hilft nicht nur die eigenen Schwächen zu erkennen, sondern ist der erste Schritt auch daran zu arbeiten. Wilhelm Busch würde das wie folgt auf den Punkt bringen:





Wenn jemand der geklettert ist auf einen Baum,

schon glaubt, dass er ein Vogel wär,

so irrt sich der.“


oder und diese leitende Erkenntnis für euer Leben wünsche ich euch:


Wer nur in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine Spuren.“


In diesem Sinne verabschiedet sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Genießt diesen Tag und bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden! Danke!







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